In Charlie Halls Welt können Schatten manipuliert werden, zur Unterhaltung, aber auch um Macht zu gewinnen. Und manchmal haben sie ein Eigenleben.
Charlie ist eine gewöhnliche Betrügerin, die als Barkeeperin arbeitet und versucht, sich von der Untergrundwelt des Schattenhandels zu distanzieren. Doch als eine Gestalt aus ihrer Vergangenheit zurückkehrt, wird Charlies Leben ins Chaos gestürzt. Entschlossen zu überleben, gerät sie in einen Strudel aus Geheimnissen und Mord, in dem sie es mit Doppelgängern, merkwürdigen Milliardären, Schattendieben und ihrer eigenen Schwester zu tun bekommt – die alle verzweifelt versuchen, die Magie der Schatten zu kontrollieren."
All das zeigt auf den ersten Blick, dass das Buch in der Dunkelheit spielt – metaphorisch und buchstäblich.
Der Titel sowie der Autorinnenname sind in mattem Gold gehalten, was dem Buch etwas Edles gibt, und die schwarzen Innenklappen sind jeweils mit dem Mond vom Cover und einem Zitat aus dem Buch geschmückt. Insgesamt erhält das Buch so eine sehr hochwertige Aufmachung, die den doch sehr stolzen Preis von 18 € fast schon wieder rechtfertigt.
Wie immer bin ich von der Aufmachung des Verlages absolut begeistert!
Wegen meinen Klausuren Ende November kam ich dann wider Erwarten leider nicht sofort zum Lesen und in der Zwischenzeit habe ich dann bei Bookstagram die ersten Meinungen über das Buch mitbekommen – die leider alle eher nüchtern oder sogar negativ ausfielen. Aus genau diesem Grund versuche ich eigentlich insbesondere bei Büchern, auf die ich mich riesig freue, den Meinungen anderer Leser aus dem Weg zu gehen, bis ich mir selbst ein Bild machen konnte, damit meine Vorfreude nicht verloren geht. Da „Book of Night“ aber in letzter Zeit praktisch überall auf Instagram zu sehen war, wie es bei der Neuerscheinung einer großartigen Autorin ja auch gar nicht anders zu erwarten ist, kam ich dann aber doch nicht darum herum, sodass meine Begeisterung unweigerlich etwas gedämpft wurde.
Natürlich hat es das Buch verdient, dass ich das trotzdem nicht an mich heranlasse und mir meine eigene Meinung bilde, was ich auch getan habe, aber die Meinungen der anderen, insbesondere derjenigen, von denen ich weiß, dass sie einen ähnlichen Lesegeschmack haben wie ich, bleiben einem selbstverständlich trotzdem im Hinterkopf.
Die meisten haben dabei kritisiert, dass der Anfang viel zu langatmig und zäh sei, der Schreibstil zu distanziert und die Protagonistin nur wenig greifbar. Im Nachhinein kann ich das alles sehr gut nachvollziehen, wenn ich es auch nicht ohne Protest unterzeichnen würde. Es stimmt zwar alles, aber mit einer entsprechenden Erwartung an das Buch kann es einen trotzdem begeistern!
Denn „Book of Night“ ist ein sehr verworrenes Buch mit einem hochkomplexen und sehr detailreichen Magiesystem, dessen Regeln man sich erst einmal alle merken und dann auch noch verstehen muss.
Darüber hinaus lebt dieses Buch weniger von Action, flotten Dialogen oder Humor, was in Fantasy oft eine Stütze für den Leser bei schwierigem Worldbuilding sein kann. Stattdessen fokussiert sich Black in ihrer Erzählung auf die Arbeit von Charlie, wie sie ihr Handwerk gelernt hat, worauf sie bei Raubzügen achten muss und wie man Schlösser knackt. Der Plot ist dabei extrem auf Charlies Ermittlungen konzentriert, bei denen man selbst sehr gut aufpassen muss, damit einem keine Details entgehen, sodass man nicht zwischendurch den roten Faden verliert. Das wäre fatal, denn die Spannung steigert sich vor allem dadurch, dass man als Leser selbst miträtselt und versucht, die Geheimnisse, auf die Charlie stößt, zu verstehen, zu entwirren und zu lüften. Holly Blacks Erzähltempo ist also extrem langsam, und wessen Fall das gar nicht ist oder wer zwischendurch etwas Lockerheit braucht, wird „Book of Night“ sehr wahrscheinlich sehr anstrengend oder langweilig finden.
Black schreibt hier nämlich in der dritten Person und lässt kaum Nähe zu ihren Figuren, auch nicht zu ihrer Protagonistin Charlie zu; hin und wieder sind Kapitel aus der Sicht einer weiteren Person geschrieben, ohne dass man lange Zeit weiß, wer sich dahinter verbirgt. Das erschwert es einem natürlich, sich in Charlie hineinzuversetzen und mit ihr warm zu werden.
Darüber hinaus ist sie keine Heldin. Sie ist eine Verbrecherin, der es einen Kick gibt, andere Leute zu bestehlen und zu betrügen, die in ihren Raubzügen aufgeht und die auf sich selbst kaum achtet. Einzig ihre Schwester Posey ist ihr wichtig, alle anderen benutzt sie nur für ihre eigenen Zwecke. Sie hat keinen Moralkompass und handelt opportunistisch ohne Rücksicht auf Verluste. Charlie ist ziemlich „abgewrackt“ und man möchte nicht in ihrer Haut stecken.
„Wenn sie nicht verantwortungsvoll oder vorsichtig oder gut oder liebenswert sein konnte, wenn sie dazu verdammt war, ein loderndes Streichholz zu sein, dann konnte sie sich genauso gut etwas suchen, das sie verbrennen konnte.“ (S. 224/478)
Trotzdem hat sie mir als Protagonistin sehr gut gefallen. Nicht, weil ich all ihre Handlungen und Entscheidungen verstehen oder gutheißen konnte, sondern weil sie authentisch ist. Durch Rückblenden, Erinnerungen und innere Monologe kann man gut nachvollziehen, weshalb sie sich zu der Person entwickelt hat, die sie in der Gegenwart ist. Ihr Werdegang und ihr Verhalten sind zwar abschreckend, aber logisch und menschlich, und das macht sie echt. Der Hauptfokus des Buches liegt natürlich auf ihren Ermittlungen, aber Black webt ihre Charakterisierung und ihre Entwicklung so geschickt in die Handlung mit ein, dass sich die Figur Charlie lebendig anfühlt und trotz des durchaus sehr distanzierten Schreibstils nahbar und greifbar wird – vorausgesetzt, man kann sich an den Schreibstil gewöhnen. Dabei kann aber das Hörbuch stark helfen, das auch bei mir wesentlich dazu beigetragen hat, dass ich doch so gut ins Buch gefunden habe, also probiert es einfach mal aus. 😉
Auch die anderen Figuren, allen voran Vince und Posey, sind genauso interessant wie die Protagonistin und vor allem auch fast so vielschichtig. Wie bei Charlie weiß man insbesondere bei Vince die ganze Zeit über nicht so richtig, was man von ihnen halten soll, ob man ihnen trauen kann und was ihre eigentlichen Ziele sind. Zwar hat Black sie zwangsläufig nicht ganz so facettenreich ausgestaltet wie ihre Protagonistin, aber spannend und greifbar sind sie dennoch, und für die Fortsetzung ist sehr viel Potenzial da.
Charlies Beziehung zu Vince ist ebenso undurchsichtig wie die Figuren. Sie steht weniger im Fokus der Handlung als Charlies Ermittlungen, aber sie steht dennoch im Zentrum des Buches, ohne zu viel Raum einzunehmen. Die ganze Zeit über weiß der Leser nicht, ob er nun für Charlie und Vincent hoffen soll, oder ob er für die beiden lieber möchte, dass sie sich nicht wiedersehen. Wenn ein Satz jeden Aspekt, so auch diesen, dieses Buches widerspiegelt, dann folgender: Man weiß nicht, was gut und was böse ist. Und genau das macht in meinen Augen den Reiz von „Book of Night“ aus!
Das Magiesystem ist hier ebenso schwer zu fassen und kompliziert wie der Plot, weshalb ich hier gar nicht allzu viele erklärende Worte verlieren möchte. Ich möchte nur noch sagen, dass ich die Idee der belebten Schatten so spannend und vor allem auch so glaubwürdig und echt beschrieben fand, dass ich beim Lesen nicht nur einmal auf meinen eigenen Schatten geschielt habe. Sobald ein*e Autor*in das bei mir hinbekommt, ist die Katze eigentlich schon aus dem Sack! Ich würde von mir behaupten, dass ich grundsätzlich nicht so leicht zu überzeugen bin. Wenn es ein Magiesystem, das so vielseitig wie dieses hier ist, aber schafft, mich völlig einzunehmen, dann ist es einfach nur grandios ausgebaut und geschrieben!
Die weit verbreitete Kritik, der Anfang sei viel zu zäh, der Schreibstil zu distanziert und die Protagonistin nur wenig greifbar, kann ich sehr gut nachvollziehen; insbesondere der Einstieg fiel auch mir nicht leicht, da hat mir aber das Hörbuch viel weitergeholfen. Wer sich jedoch an Distanz gewöhnen kann, sich auf eine opportunistische, „abgewrackte“ Protagonistin einlassen und einem Buch folgen möchte, das ein sehr langsames Erzähltempo aufweist und weniger auf Action oder flüssige Dialoge, sondern auf Ermittlungen, Geheimnisse und Betrügereien setzt, bei denen man sehr aufmerksam lesen muss, um nicht verloren zu gehen, der wird in „Book of Night“ einen unheimlich komplexen, raffinierten und cleveren Urban-Fantasy-Roman mit starkem Krimibezug trotz aller Distanz greifbaren und nahbaren Figuren und einem so echt wirkenden Magiesystem finden, dass man selbst gegenüber dem eigenen Schatten misstrauisch wird.
Das Ende hält einige Überraschungen und einen besonders fiesen Cliffhanger bereit, der einen die Fortsetzung kaum abwarten lässt!
4/5 Lesehasen.
Huhu,
AntwortenLöschenoh man, tut mir sehr leid, dass ich mit daran Schuld bin, dass dir deine Vorfreude auf das Buch ein bisschen versaut wurde 😅. Wobei... vielleicht fandest du es auch umso besser, weil du mit anderen Erwartungen an die Geschichte herangegangen bist?
Ich kann auf jeden Fall viele Punkte deiner Rezi genauso unterschreiben - nur dass sie bei mir etwas anderes ausgelöst haben. Vince und seine Beziehung zu Charlie fand ich ebenfalls sehr interessant, weil beide sehr undurchsichtig waren. Für mich hätte das Ganze aber ruhig noch ein bisschen ausführlicher sein dürfen.
Die Idee mit den Schatten und das komplexe Handlungsgewirr, das ja vor allem am Ende die üblichen Dimensionen komplett sprengt, fand ich natürlich auch großartig. Das Erzähltempo, der Schreibstil und das Worldbuilding haben das für mich aber leider überlagert.
Insgesamt freut es mich aber total, dass du mehr Spaß mit dem Buch hattest wie ich!
Liebe Grüße
Sophia
Hahaha, es sei dir verziehen! xD
LöschenAber ja, das kann natürlich auch gut sein. Bevor ich deine und andere Meinungen gelesen habe, war ich tatsächlich sehr hyped. Das hätte also echt gut nach hinten losgehen können, von daher.. Danke? xD
Hallo liebe Sofia :)
AntwortenLöschenMein letzter Besuch bei dir ist eindeutig viel zu lange her! :D Bei mir steht "Book of Night" noch auf der Wunschliste. Bislang habe ich nur ein Buch von Holly Black gelesen ("Der Prinz der Elfen"), das mich nicht hundertprozentig überzeugen konnte, aber ich möchte ihr als Autorin auf jeden Fall nochmal eine Chance geben. „Elfenkrone“ habe ich auch schon hier im Regal stehen, ich bin gespannt, ob mich die Geschichte überzeugen kann!
Liebe Grüße
Lisa von Prettytigers Bücherregal (Blog & Instagram)
Huhu Lisa :)
LöschenHaha, dann wurde es mal wieder Zeit! ;D
Der Prinz der Elfen habe ich noch ungelesen auf dem SuB, daher kann ich dazu nichts sagen, aber habe schon öfter gehört, dass das nicht Hollys bestes Buch sein soll. Die Elfenkrone-Reihe habe ich allerdings sehr geliebt und ich kann mir gut vorstellen, dass sie dir auch gefallen wird! ♥
LG zurück