In Leigh Bardugos Urban-Fantasy-Roman »Wer die Hölle kennt« ist Geisterseherin Alex Stern zurück auf dem Campus der Elite-Uni Yale – und bereit, sich der Hölle selbst entgegen zu stellen.
Seit Jahrhunderten ziehen acht mächtige studentische Verbindungen der Elite-Universität Yale die Fäden hinter Politik und Wirtschaft – das neunte Haus jedoch überwacht die Einhaltung der Regeln. Denn die Macht der Verbindungen beruht auf uralter, dunkler Magie.
Zwar ist es Geisterseherin Alex Stern gelungen, im Auftrag des neunten Hauses eine Verschwörung auf dem Campus aufzuklären, doch dabei wurde ihr Mentor Daniel Arlington entführt. Obwohl Alex' Gefühle für Daniel in zwei sehr unterschiedliche Richtungen tendieren, unternimmt sie alles, um ihn zu retten. Auch wenn sie dafür buchstäblich durch die Hölle gehen muss!"
Allerdings ist das in diesem Fall ausnahmsweise ein Kompliment, denn genau diesen Effekt soll dieses hässliche Kaninchen hinter dem Titel natürlich haben. Es ist einfach nicht schön, aber es passt wunderbar gut zur Stimmung des Buches und auch zum Inhalt. Ohne zu viel zu verraten, kann ich sagen, dass das Kaninchen wie die Schlange im ersten Band hier eine Bedeutung haben wird, die einem jedoch erst mit fortlaufender Handlung klar wird.
Aus genau diesem Grund finde ich es auch super, dass der deutsche Verlag die Originalcover übernehmen konnte. Das deutsche Cover finde ich trotzdem noch ein bisschen „schöner“ (soweit man hier von schön reden kann, haha), einfach aufgrund der Prägung.
Im Buch ist außerdem eine Karte von Yale abgedruckt, die ich mir vor dem Lesen erst einmal gefühlt eine halbe Stunde angesehen habe. Die hätte ich im ersten Band gebraucht, da war ich völlig verloren auf dem Campus! Aber ich bin natürlich froh, dass sie wenigstens in der Fortsetzung einen Platz im Buch gefunden hat, besser spät als nie. ;D
Wie auch schon „Das Neunte Haus“ setzt „Wer die Hölle kennt“ dabei ganz in Leigh-Bardugo-Manier nicht auf wilde, epische Kampfszenen und große Emotionalität, sondern auf einen ruhigeren, aber nicht minder mitreißenden Erzählstil. Die Alex-Stern-Reihe besticht dabei mit Krimielementen, Verschwörungstheorien und Mythen über Yale und andere Rätsel der Welt, die Bardugo so raffiniert in ihre Geschichte einbaut, dass man nur staunen kann und nicht umhinkommt, sich zu fragen, ob diese Parallelgesellschaft der Acht Häuser und Lethe, die mit Macht spielt, die sie nicht haben sollte, nicht doch unter uns existiert, ob es diese Form der Magie, Dämonen und die Hölle nicht tatsächlich gibt. Man muss sich zwar auch in der Fortsetzung der Reihe sehr stark konzentrieren, damit man nicht den roten Faden verliert und auch wirklich alle Informationen mitnimmt, die später noch relevant werden können – und wie man Leigh Bardugo kennt, werden sie das definitiv! Allerdings ist diese Leistung, die das Buch vom Leser fordert, nicht annähernd so zermürbend wie im Auftakt. Das liegt aber wohl mehr daran, dass man sich jetzt besser in der Welt von Yale und Lethe zurechtfindet, als dass „Wer die Hölle kennt“ weniger kompliziert und verworren ist. Das ist es nämlich immer noch, aber dieses Mal, wie man es von der Autorin auch kennt, auf die gute Art! Man versucht, das Genie Bardugo zu durchschauen und irgendwie vorherzusehen, was wohl als nächstes kommen mag; man stellt eigene Theorien auf, verdächtigt erst einmal jede Figur und hat Ideen, wie Alex und Dawes es zu einer Lösung schaffen könnten, nur um immer wieder aufs Neue festzustellen, dass man einfach nicht ansatzweise so schlau ist wie die Autorin, die es wirklich jedes Mal schafft, einen hinters Licht zu führen.
Selbst die kleinsten, unscheinbarsten Aussagen, die ich über das Geschehen schon längst wieder vergessen habe, greift die Autorin irgendwann auf und verleiht ihnen innerhalb der Handlung eine enorme Bedeutung, mit der man so niemals gerechnet hätte. Es verblüfft mich bei Bardugos Werken immer wieder aufs Neue, wie sie es schafft, über so hochkomplexe Geschichten den Überblick zu behalten und nichts zu vergessen oder sich selbst nicht zu widersprechen. Ich kann mich vor ihrem Genie einfach nur verneigen!
Darüber hinaus hat „Wer die Hölle kennt“ aber auch neben dem komplexen, genialen Worldbuilding viel, was von sich überzeugt, allen voran die Figuren.
Während ich mir sehr gut vorstellen kann, dass man mit Alex vor allem im ersten Band so seine Schwierigkeiten haben wird, da sie eben nicht die typische Heldin ist, sondern eher opportunistisch, moralisch grau und noch dazu emotional unnahbar, distanziert, fand ich sie schon früh klasse, auch wenn sie selbst bei mir ein wenig Zeit gebraucht hat, damit ich zu ihr einen Draht aufbauen und mich in sie hineinversetzen konnte. In „Wer die Hölle kennt“ merkt man dann aber so richtig, wie stark sie sich im Laufe der Zeit, vor allem verglichen mit ihren Anfängen bei Lethe, weiterentwickelt hat. Sie lernt, mit ihren Schwächen umzugehen und vor allem, sich auf andere Menschen einzulassen und sich ihnen zu öffnen.
Dabei fand ich es besonders schön, wie sich ihre Beziehung zu Dawes entwickelt, und vor allem, wie man merkt, dass die beiden voneinander lernen und sich gegenseitig helfen, zu wachsen, aufzublühen und zu noch beeindruckenderen Persönlichkeiten zu werden. Alex lernt dabei von Dawes, dass es auch in Ordnung ist, anderen mal eine weichere Seite zu zeigen, während Dawes immer besser darin wird, sich zu behaupten und für sich selbst, aber auch für ihre Freunde einzustehen und stark zu machen.
Das macht beide zu noch lebensnäheren Figuren, als sie ohnehin schon sind. Leigh versteht es super, ihre Figuren sich einerseits eigenständig und realistisch entwickeln zu lassen, und dabei aber andererseits auch nicht außer Acht zu lassen, wie der zwischenmenschliche Kontakt und die Beziehungen zu anderen Figuren sie ebenso formen und beeinflussen. Dieses fundamentale Verständnis, das die Autorin also für ihre Geschichte hat, greift also auch auf ihre Figuren über, was dem Ganzen Leben und Realismus gibt und das Buch so zu einem Tor in eine andere Welt macht. Das ist schlicht und einfach großartiges Storytelling, mit dem nicht Viele in der Weise mithalten können!
Ebenso bemerkenswert ist, wie sie es geschafft hat, Darlington mindestens genauso viel Leben einzuhauchen wie Alex und Dawes, obwohl er die beiden über den Großteil der Handlung nur mittelbar durch Erinnerungen und Erzählungen über ihn begleitet – er selbst sitzt in der Hölle fest und außer ein paar wenigen Begegnungen hier und da, bei denen auch nicht viel geredet wird, hat er keine aktive Rolle im Geschehen. Dennoch ist er genauso greifbar wie die anderen Figuren, er wächst einem ebenso ans Herz wie Alex und Dawes, und seine Beziehung zu den beiden ist nicht weniger spürbar und lebendig, wie die anderen Beziehungen in „Wer die Hölle kennt“.
Einer passiven Figur wie Darlington derart Leben einzuhauchen, dass man mit ihr genauso mitfiebert wie mit den Protagonisten, ist sicherlich kein leichtes Unterfangen und zeigt wieder einmal das fundamentale Verständnis, das Leigh Bardugo von ihrer Geschichte und ihren Figuren hat. Auf die Gefahr hin, dass ich mich hier nur wiederhole: Ich ziehe meinen Hut vor ihr!
„‚Galaxy Stern‘, sagte Darlington, und seine Augen leuchteten golden auf, ‚ich rufe schon die ganze Zeit nach dir.“ (S. 246/576)
Alles – berechtigte! – Lob einmal beiseite: Ich habe auch ein kleines bisschen an der Geschichte auszusetzen, wobei zumindest der eine der beiden Kritikpunkte mehr auf einem Gefühl als auf einem bestimmten Aspekt am Buch beruht.
Zum einen hat mich nämlich im Mittelteil ganz kurz der Klammergriff der Geschichte verlassen, zum anderen fand ich die Auflösung zum Schluss im Vergleich zur restlichen Handlung eher schwach und underwhelming. Anders als „Das Neunte Haus“ beginnt „Wer die Hölle kennt“ zwar unheimlich stark, kann die meiste Zeit das Niveau auch halten und der große Showdown gegen Ende ist so genial, dass man sich kaum lösen kann.
Zwischendurch hatte ich allerdings kurz das Gefühl, dass die Handlung ein wenig auf der Stelle tritt – was aber ehrlicherweise vielleicht auch dessen geschuldet ist, dass ich generell gerade viel um die Ohren habe und bei einem Buch, das so viel Input liefert, zwischendurch bestimmt auch mal unbewusst abschalte. Wie stark die Handlung im Mittelteil also tatsächlich stagniert und wie viel meines Gefühls auf meinem Stress beruht, kann ich daher gar nicht wirklich sagen, weshalb sich, um dem Buch gegenüber fair zu bleiben, dieser Aspekt nicht allzu stark auf meine Endbewertung ausgewirkt hat.
Viel „enttäuschter“ war ich demgegenüber von der Auflösung am Ende – wobei enttäuscht hier auch noch zu negativ für das ist, was ich tatsächlich gegenüber dem Ende empfinde. Es ist immer noch stark, es macht Sinn und beeindruckt hinsichtlich der Details, die hier alle zusammenlaufen, und macht vor allem unfassbar neugierig auf den dritten Band.
Im Vergleich zum Rest fühlte sich das Ende allerdings fast schon zu eilig, zu wenig ausgereift an – das über Leigh Bardugo zu schreiben, fühlt sich fast schon an wie Blasphemie, als ob sie jemals etwas nicht ausreifen lässt!!! Seht diesen Kritikpunkt also bitte in Relation zu allem, was ich vorher über die Autorin geschrieben habe, haha.
Insbesondere aber das Zusammentreffen von Alex und Darlington war mir schlicht zu wenig. Zwar fällt Leigh Bardugo auch in ihren anderen Werken damit auf, dass sie mehr zwischen den Zeilen sagt als ausdrücklich (bestes Beispiel dafür ist „Rule of Wolves“ mit Zoyalai), und genau das liebe ich eigentlich auch an ihrem Schreibstil. Dadurch, dass man sich selbst zusammenreimt, was eigentlich gesagt wird, bekommt alles noch mehr Gewicht, noch mehr Bedeutung, und wirkt so noch viel intensiver, als hätte sie das, was sie sagen möchte, ausformuliert.
Bei allem, was Alex und Darlington jedoch bisher erlebt haben, wie sie vorher miteinander interagiert haben, und wie sie übereinander denken und füreinander fühlen, war es mir hier doch auch zwischen den Zeilen nicht genug, zu unterkühlt und zu wenig entsprechend dem, wie sie sich bis zu dem Punkt einzeln und miteinander entwickelt haben. Ich werde das jetzt nicht weiter ausführen, weil ich natürlich nicht spoilern möchte, deshalb nur noch ein Satz: Im Vergleich zu dem, was ich die beiden Bücher zuvor gelesen habe, habe ich da einfach mehr erwartet.
Deshalb bin ich nicht ganz so begeistert aus „Wer die Hölle kennt“ gegangen, wie ich es gewollt hätte, und deshalb gibt es auch nicht die volle Punktzahl.
Dennoch bin ich nach wie vor begeistert von der Genialität, die Leigh Bardugo mal wieder unter Beweis gestellt hat, und ich freue mich unglaublich auf die Fortsetzung und auch auf die Amazon-Serie! Das wird großartig, glaube ich.
Bonus: Ich möchte an dieser Stelle einmal das leuchtende Etwas positiv hervorheben, dass hier überraschend oft erwähnt wird, und das ich für die Geschichte zwar für wenig relevant halte, das mich aber durchweg mit großer Freude erfüllt hat, höhö. IYKYK
Dazu kommen liebenswerte, lebensechte Figuren, die mit jeder Seite greifbarer werden und mehr ans Herz wachsen, selbst wenn sie in der Handlung nur mittelbar vorkommen, und ein Ende, bei dem man fast schon böse darüber ist, dass sich die Autorin aktuell auf zwei Filmsets befindet und deshalb vermutlich gerade nicht so viel Zeit hat, um an der Fortsetzung zu arbeiten.
Lediglich im Mittelteil bin ich beim Lesen gedanklich dann doch kurz abgeschweift (was aber sicher auch mit meinem momentanen Stress zusammenhängt), und die Auflösung am Ende hat mich im Vergleich zu allem, was man vorher liest, doch enttäuscht, daher gibt es insgesamt einen Punkt Abzug. Das muss man aber natürlich in Relation zu der *Genialität* Bardugos sehen, denn „Wer die Hölle kennt“ befindet sich trotz allem auf absolut höchstem Niveau!
4/5 Lesehasen.
Vielen lieben Dank an
(c) Knaur |
Huhu,
AntwortenLöschenwow, was für eine TOLLE und ausführliche Rezi! Ich habe beim Lesen die ganze Zeit enthusiastisch genickt. Vor allem bei dem leuchtenden Etwas, höhö...
Liebe Grüße
Sophia
höhö
Löschen✨🍆😂
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